Von Polen bis Passau - das Recht auf Selbstbestimmung unter Beschuss

15. Oktober 2021

Exakt ein Jahr wird es am Freitag, den 22. Oktober 2021, her sein, dass der Kampf der polnischen Regierung gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche seinen vorläufigen Tiefpunkt fand: Das von der PiS-Partei gesteuerte polnische Verfassungsgericht entschied, dass selbst Schwangerschaften, die das Leben der Schwangeren gefährden, oder bei denen der Fötus schwere und irreversible Schäden aufweist, nicht mehr abgebrochen werden dürfen. Damit wird den Frauen in Polen in diesen Fällen die letzte Möglichkeit genommen, in ihrem Land selbst über ihr Leben zu entscheiden.

Ich bin es mittlerweile gewohnt, solche Angriffe auf Frauenrechte zu sehen. Hier müssen wir gegenhalten. Deshalb steht die nächste Plenarwoche in Straßburg, neben vielen Abstimmungen und Debatten, auch im Zeichen mutiger Aktivistinnen aus Polen, die wir als Gäste dort begrüßen werden. Denn sie kämpfen seit mehr als einem Jahr tagein tagaus für ihre Rechte, und wir stehen an ihrer Seite!

Als Abgeordnete aus Bayern muss ich aber nicht ins europäische Ausland schauen, um zu sehen, dass das Recht auf Selbstbestimmung auf wackeligen Beinen steht. Denn auch in Deutschland wird dies immer öfter hinterfragt. Die Versorgungslage ist in manchen Regionen erschütternd. Und ein Blick, z.B. nach Passau, zeigt: Dies ist teilweise so gewollt und angeordnet. Es ist ein Skandal, dass ein von der Mehrheit getragenes Bundesgesetz, das den Zugang zu straffreien und wohnortnahen Schwangerschaftsabbrüchen seit Jahrzehnten garantiert, in Passau schlicht und einfach außer Kraft gesetzt wird.

Wie in Polen soll es auch hier Frauen so schwer wie möglich gemacht werden, eine ungewollte Schwangerschaft medizinisch sicher zu beenden, indem dem städtischen Klinikum untersagt wird, diesen Frauen zu helfen. Und auch ein Stadtrat, der sich durch seine Beschlüsse über ein Bundesgesetz stellt, erinnert in diesen Tagen leider an Polens Verfassungsgericht und seine Entscheidung nationales über EU-Recht zu stellen.

Was auf dem Papier eine Verschlimmerung einer bereits prekären Versorgungslage beschreibt, bedeutet für einzelne Frauen eine unzumutbare Hürde auf einem bereits schwierigen Weg in einem stetig aggressiver werdenden gesellschaftlichen Klima. Das Ziel ist, es den Frauen so schwer wie möglich machen ihr bestehendes Recht durchzusetzen. Ihnen ihre Rechte Stück für Stück zu nehmen. Sie an ihren ‚angeblichen‘ Platz zurück zu weisen. Dies ist nicht hinnehmbar. Keinen Tag länger. Nicht in Polen. Nicht in Deutschland. Und auch nicht in Passau!

Gerade in diesen Tagen finden die Sondierungsgespräche einer möglichen künftigen Ampelkoalition statt. Von uns als SPD liegt eine klare Ansage auf dem Tisch: Krankenhäuser, die öffentliche Zuschüsse bekommen, müssen Schwangerschaftsabbrüche als gesundheitliche Grundversorgung anbieten. Dies muss für jede Trägerschaft gelten. Spätestens dann muss Passau reagieren. Wer von unseren Steuergeldern finanziert wird, hat das Bundesgesetz zu achten. Hat Frauenrechte zu achten. Und diese auch umzusetzen. Denn das Ziel ist klar: Versorgungssicherheit, sichere und wohnortnahe Schwangerschaftsabbrüche und neutrale Informationen und Beratung. Und vor allem das Recht, selbst zu entscheiden. Das sind Forderungen, die wir aus dem Mund von Frauen in Polen hören. Aber auch vielerorts in Deutschland. Allen voran in Passau.

Hintergrund:

Pressekonferenz zu Frauenrechten in Europa am Mittwoch, 20.10.2021, 10 Uhr, im Pressekonferenz-Saal „Daphne Caruana Galizia“ im EU-Parlament in Straßburg. Live-Webstream hier - mit den Aktivist*innen Antonina Lewandowska von ASTRA/FEDERA, Central and Eastern European Network for Sexual and Reproductive Health and Rights, und Mikolaj Czerwinski, Amnesty International Poland sowie den "All of us"-KoordinatorInnen von S&D-Fraktion, Renew, Grüne und Linken mit anschließender gemeinsamer Fotoaktion vor dem Parlament in Straßburg.

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