Schwarze Tage für Europa. Ein Kommentar von Maria Noichl, Bürgerin und EU-Abgeordnete

22. April 2015

Immer wieder dieselben Meldungen. Immer wieder Gedanken an Kinder, Frauen und Männer, die auf ihrem letzten Weg nur von einem Wunsch getragen sind - von der simplen Hoffnung auf ein Überleben. Wie geht es mir als EU-Abgeordnete damit?

Ich lese Meldungen wie: "Das erneute Flüchtlingsdrama in der Nacht auf Sonntag muss die europäische Politik wachrütteln!" Ja, das muss diese Nachricht. Richtig fest rütteln. Zunächst steht die akute Hilfe im Vordergrund. Ein Akt der Menschlichkeit. Ein Akt der Christlichkeit. Beim Helfen darf es keine Quoten oder Limits geben. Keine. Und dann müssen wir an die Gründe ran.

Fluchtursachen bekämpfen Das ist für mich das Thema Nummer 1. Ich rede nicht über Außenpolitik. Davon verstehe ich zu wenig. Ich rede als Agrarpolitikerin über ehrliche, faire und partnerschaftliche Agrarpolitik, die leider im EU-Parlament oft nicht mehrheitsfähig ist.

Eines ist jedoch klar: Unser Konsum verursacht Flucht.

Kleidung: Allein die Art und Weise, wie wir in Europa Kleidung aus Baumwolle nicht gebrauchen, sondern VER-brauchen, lässt die Baumwollfelder immer mehr Fläche einnehmen. Der Hunger am Rande dieser Felder erzeugt jedoch auch Flucht. Warum dürfen immer noch T-Shirts bei Discountern für 4,-- Euro verkauft werden? Uns muss eines klar sein: An der Kasse zahlen wir nur einen kleinen Teil des tatsächlichen Preises. Den anderen Teil bezahlen die Menschen auf der anderen Seite der Welt, auf deren Feldern die Baumwolle produziert und dann für Dumpingpreise verkauft wird, doch ihre Essensschüsseln bleiben leer.

Hier in Deutschland haben wir für den Mindestlohn gekämpft. Eine gute Sache, wie ich finde. Aber ganz Europa muss auch klar NEIN zu ausbeuterischen Importpraktiken sagen. Nur so gelingt ein Fairplay mit den Ländern des Südens.

Soja: Fluch oder Segen? Futtersoja stellt für uns in Europa eines sicher: dass die Rinder, die Schweine und das Geflügel hier bei uns gefüttert werden können. Denn unsere eigenen Flächen würden dafür schon lange nicht mehr ausreichen. Kurzgesagt: Unsere Schnitzel und Hühnerbrüste, billigst in jedem Diskounter zu kaufen, werden durch Flächen ernährt, die uns nicht gehören. Bei Sprüchen wie: "Könnten diese Länder nicht Soja verkaufen, dann könnten sie gar nichts verkaufen!" kann ich nur den Kopf schütteln. Solche Aussagen sollen nur unser Gewissen beruhigen. Alle, die es wissen wollen, erkennen, dass die Gruppe der Verdienenden eine gänzlich andere ist als die der ehemaligen Besitzer der Felder, die mit ihren Familien in ihrer Existenz bedroht sind.

Was können wir also tun? Kurzfristig keinen Soja mehr aus Ländern importieren, in denen Hunger herrscht, beispielsweise. Langfristig müssen wir außerdem hin zu einer bodengebunden Landwirtschaft in Europa: Jeder Landwirt darf nur so viele Tiere halten, wie er von seinen Flächen ernähren kann. Sinkende Flüchtlingsboote sind für uns immer wieder eine Nachricht, welche Trauer, Wut und Ohnmacht erzeugt. Für kurze Zeit zumindest. Doch beim nächsten Einkauf ist meist alles vergessen. Denn dann ist Geiz wieder geil. Für diesen bezahlen andere Menschen jedoch mit dem Leben. Und das betrifft uns alle. Hier spreche ich als Bürgerin - nicht als EU-Abgeordnete.

Denn Fluchtursachen können nicht nur in den ärmsten Ländern der Welt bekämpft werden. Für die Menschen, die jetzt zu Tausenden an der Küste Afrikas auf Schlepperbanden warten, müssen wir zeitnah auch eine politische Lösung finden. Innerhalb Europas müssen wir zunächst ein funktionsfähiges Rettungsprogramm formen - ein neues "Mare Nostrum" auflegen. Dazu muss das europäische Triton-Programm finanziell aufgebessert werden und das Mandat für ein wesentlich größeres Einzugsgebiet erteilt werden. Die europäischen Mitgliedstaaten müssen hier solidarisch handeln. Zudem müssen legale Wege für die Zuwanderung eingerichtet und die Einführung eines fairen Verteilungsschlüssels für alle Mitgliedstaaten sichergestellt werden. Dies wäre der Grundstein für ein humanes Europa.

Meine Kollegin Birgit Sippel, MdEP, Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hat hierzu auch eine Pressemitteilung verfasst, die ich euch ebenfalls gerne ans Herz legen möchte:

Birgit Sippel, MdEP: Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer: SOS-Ruf verpflichtet zur Rettung (PDF, 89 kB)

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