Der Schutz unserer Kinder vor Missbrauch, auch im digitalen Raum, ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Wir müssen jedoch sicherstellen, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch stets verhältnismäßig und angemessen sind. Auch Kinder und Jugendliche dürfen nicht ständig überwacht werden; sie haben einen Anspruch auf Privatheit und auf Freiräume für die eigene Entwicklung. Das digitale Briefgeheimnis darf nicht leichtfertig gebrochen werden. Es braucht klare, rechtsstaatliche Verfahren, die den Datenschutz wahren und nicht alle Bürger:innen unter Generalverdacht stellen.
Im Mai 2022 wurde der Verordnungsvorschlag zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch online veröffentlicht. Dieser löste zum Teil heftige Reaktionen und Ablehnung aus, da das Scannen privater Kommunikation und eine Hintertür zur Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorgesehen wurden. Der Vorschlag enthält vor allem Risikobewertungs und -minimierungspflichten für Plattformen bezüglich der Verbreitung von Missbrauchsmaterial und sagt eigentlich kaum etwas darüber aus, wie Kinder im Netz besser geschützt werden könnten.
Seit über drei Jahren streitet der Rat der EU über die Voraussetzung für eine rechtsicherere Lösung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch online und plant nun im Oktober 2025 ein Mandat im Rahmen des Ministerrats für Justiz und Inneres anzunehmen. Ein besonderer Rückschritt für die Grundrechte von Kindern und Internet-Nutzer:innen zeichnet sich dabei insbesondere durch den Kompromissvorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft ab. Dieser würde die hart erkämpften Errungenschaften beim Schutz der Vertraulichkeit von Kommunikation faktisch zunichtemachen. Die polnische Ratspräsidentschaft hatte vorgeschlagen, die Durchsuchung von Chatinhalten freiwillig statt verpflichtend zu machen und verschlüsselte Kommunikation auszunehmen. Die dänische Präsidentschaft lehnt das ab und führt erneut eine umfassende verpflichtende Chatkontrolle ein. Insbesondere droht, dass Aufdeckungsanordnungen wieder so weit gefasst werden können, dass eine Umgehung von Verschlüsselungstechnologien und ein faktisches Client-Side-Scanning ermöglicht würden. Damit würde die Balance zwischen Kinderschutz und Grundrechtsschutz gefährlich verschoben und das zum Nachteil der Privatsphäre und der Grundrechte aller Bürger:innen.
Anders als im Rat hat das EU-Parlament nach schwierigen Verhandlungen bereits Ende 2023 eine Einigung zwischen den Berichterstattern und Schattenberichterstattern erzielt, die im zuständigen Ausschuss mit großer Mehrheit über Fraktionsgrenzen hinweg angenommen wurde. Im Vergleich zum Kommissionsvorschlag wurde der Text in ganz wesentlichen Punkten zum Besseren verändert, sodass nun der Fokus auf einer effektiveren Strategie zum Schutz von Kindern im Netz liegt. Gleichzeitig sorgt eine Generalklausel gleich zu Beginn des Vorschlags dafür, dass das EU-Parlament sich gegen Massenüberwachung einsetzt und dem Schutz von Ende-Zu-Ende Verschlüsselung verschreibt.
Dies wird auch nochmal in den Bestimmungen zur Aufdeckungsanordnung wiederholt. Im Einzelnen sind u. a. besondere Risikominimierungsmaßnahmen für Online-Dienste, die sich direkt an Kinder richten, vereinbart worden. Unter dem Stichwort „Sicherheit durch Design“ sollen junge Menschen vor Manipulation geschützt werden, indem Internetdienste und Apps von Grund auf sicher gestaltet sind. So soll die private Kommunikation mit unbekannten Nutzern oder die Anzeige bzw. Freigabe bestimmter Inhalte wie z.B. Nacktheit nur nach vorheriger Bestätigung durch den Nutzer möglich sein.
Maßnahmen zur Altersverifizierung sollen grundsätzlich freiwillig sein, außer für Online-Dienste zur Verbreitung pornografischer Inhalte. Zur Verhinderung von Grooming sollen die Dienste eine Moderation durch einen Menschen von öffentlich zugänglichen Chats mit hohem Risiko des sexuellen Kindesmissbrauchs etablieren. Sollten diese präventiven Maßnahmen nicht ausreichen, können ausschließlich Justizbehörden als letztes Mittel Aufdeckungsanordnungen erlassen, die jedoch in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt und gezielt sein müssten: Zum einen sollen sie sich nur auf individuelle Nutzer oder eine spezifische Nutzergruppe beziehen dürfen, bei denen begründete Verdachtsmomente auf eine (auch indirekte) Verbindung zu Missbrauchsmaterial hindeuten.
Kommunikationsinhalte, die der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unterliegen, sollen von Aufdeckungsanordnungen und Technologien zur Umsetzung von Aufdeckungsanordnungen ausgenommen werden. Zum anderen sollen die Aufdeckungsanordnungen auf bekanntes und neues Missbrauchsmaterial beschränkt bleiben. Aufgrund der hohen Fehlerquote von Aufdeckungstechnologien für Grooming in Textnachrichten soll dies vorerst nicht Gegenstand der Aufdeckungsanordnungen werden, wobei eine Überprüfungsklausel vereinbart wurde, wonach die Kommission nach drei Jahren einen Bericht und ggf. einen neuen Vorschlag zum Aufspüren von Grooming vorlegen kann.
Damit im Internet kein Kindesmissbrauchsmaterial mehr zirkulieren kann, soll das neue EU-Zentrum für den Schutz von Kindern proaktiv öffentlich zugängliche Internetinhalte automatisch nach bekanntem CSAM durchsuchen. Dieses sog. Crawling kann auch im Darknet verwendet werden und ist somit effektiver als Überwachungsmaßnahmen durch private Diensteanbieter.
Ähnlich wie auch im DSA müssen Diensteanbieter gemeldetes Kindesmissbrauchsmaterial entfernen. Strafverfolgungsbehörden trifft auch eine Meldepflicht, sodass sie sich an die Provider wenden müssen, wenn sie Kindesmissbrauchsmaterial finden. Dies ist eine Reaktion auf die Versäumnisse im Zusammenhang mit Darknet Plattformen wie „Boystown“ wo Kindesmissbrauchsmaterial trotz Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden und Europol weiterhin online geblieben ist.
Darüber hinaus braucht es keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Kommunikations- und Inhaltsdaten. Sie stellt alle Bürger:innen unter Generalverdacht und missachtet Grundrechte. Das Quick-Freeze-Verfahren ist die bessere Lösung: gezielt, rechtsstaatlich verankert und grundrechtsschonend. Es ermöglicht Strafverfolgungsbehörden, bei einem konkreten Verdacht Daten einzufrieren, statt massenhaft und pauschal zu speichern. Gerade in Deutschland zeigt die Debatte: das Quick Freeze Verfahren entspricht den Vorgaben von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof und zeigt damit eine grundrechtskonforme Lösung auf, um Beschuldigte effektiv zu verfolgen, ohne die Privatsphäre aller Nutzer:innen zu gefährden.
Dank des Einsatzes von S&D sind sog. Blocking Orders nicht mehr verpflichtend und nur noch als ultima Ratio einsatzbar und an strenge Voraussetzungen geknüpft, sodass legale Inhalte nicht betroffen sein dürfen.
Privatsphäre und Datenschutz sind nicht verhandelbare Grundrechte unserer Gesellschaft. Sie bilden das Fundament einer freien und demokratischen Ordnung. Wenn wir diese Rechte aushöhlen, gefährden wir nicht nur die Privatsphäre der Bürger, sondern auch das Vertrauen in unsere Institutionen.
Zudem ist Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eine unverzichtbare Maßnahme für die Cybersicherheit. Sie schützt nicht nur die Kommunikation vor unberechtigten Eingriffen und Missbrauch, sondern auch Unternehmen und kritische Infrastrukturen. Diese Verschlüsselungstechnologie darf nicht geschwächt werden, sondern muss gestärkt werden, um die Vertraulichkeit der Kommunikation und die Sicherheit im Netz zu gewährleisten.
Sollte es im Oktober zu einer Mehrheit für eine Ratsposition kommen ist das daher nicht das Ende der Debatte, sondern Beginn von Verhandlungen zwischen Rat, Parlament unter der Vermittlung der Kommission.