Im Europäischen Parlament gibt es 7 Fraktionen. Um Mehrheiten für Bewegungen in Sachen Klima, Umwelt und Tierschutz zu organisieren, braucht es Bündnispartner. Keine Fraktion kann alleine agieren. In Sachen Agrarpolitik gibt es rechnerisch keine linke, progressive Mehrheit, sondern eine träge, rückwärtsgewandte Mehrheit mit reinen Agar-Interessen.
Agrarpolitik im Europäischen Parlament ist Lobbypolitik der Agrarindustrie, Angstpolitik vieler Abgeordneter in Bezug auf die Wählergunst zuhause und deswegen an Schwerfälligkeit nicht zu überbieten.
So wusste jeder informierte Abgeordnete, dass das freie Spiel der Kräfte schlecht enden wird. Gute Änderungsanträge, mit höheren Zielen, haben nur eine Haltbarkeit bis zum Abstimmungstag. Nur Mehrheiten können Ideen schützen und stützen. So haben wir uns in der S&D-Fraktion, gemeinsam mit der EVP und RENEW entschlossen, einen Basiskompromiss zu erarbeiten, der für alle ein Geben und Nehmen bedeutet, insgesamt aber einen völligen Verlust aller Schritte nach vorne verhindert hat. Die Alternativvorschläge der anderen Fraktionen zu diesen Artikeln haben deutlich gemacht, dass hier nichts Besseres rauszuholen war.
Während andere Fraktionen an der Startlinie aufgegeben haben, haben wir in den vergangenen Monaten und Tagen daran gearbeitet, die zukünftige europäische Agrarpolitik zu verbessern. Wir haben bis zur letzten Minute für eine ambitionierte europäische Agrarpolitik gekämpft.
Nach der Abstimmungswoche steht jetzt fest, der Basiskompromiss hat gehalten. Die Abstimmungen über die zahlreichen Änderungsanträge haben die schlechte Vorahnung jedoch voll bestätigt und Schritte in die Zukunft marginalisiert. Es ist die bittere Wahrheit, dass der von außen gescholtene Basiskompromiss letztendlich ein paar wichtige Pfeiler sichern konnte.
Unsere rote Linie, die Agrarpolitik an den Europäischen Green Deal zu binden, wurde gerissen. Eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Nationalkonservativen hat gegen unsere wichtigste Bedingung gestimmt. Deshalb stimmen wir gegen die vorliegenden Vereinbarungen.
Wir werden weiter Druck für eine Agrarreform machen, die die Ambitionen der Europäischen Union in Sachen Green Deal erfüllt.
Hintergrund
Die Europäische Agrarpolitik mit ihrem Budget von 54 Milliarden Euro jährlich wird alle sieben Jahre reformiert. Der vorliegende Kommissionsvorschlag aus dem Jahr 2018 zur GAP-Reform besteht aus drei Verordnungen (die sogenannte Strategieplanverordnung, die Verordnung zur Kontrolle und Finanzen und die Verordnung zur Gemeinsamen Marktordnung). Der Vorschlag des ehemaligen Agrarkommissars Phil Hogan hätte für die europäische Agrarpolitik ein Paradigmenwechsel werden können, wenn die Ausgestaltung progressiv passiert wäre. Durch die Idee, europäisch gesetzte Ziele (Klima, Umwelt, Tierschutz) durch Mitgliedstaaten in den sogenannten Strategieplänen mit konkreten, zielgenauen Maßnahmen ausgestalten zu lassen, sollte die Forderung „Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“ Wirklichkeit werden. Die Mitgliedstaaten sollten auf Grundlage einer SWOT-Analyse ihre Maßnahmen und Gewichtungen erarbeiten. Grundlage müssten dabei immer die konkreten europäischen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Ziele sein. Würde die Zielerreichung von der EU-Kommission mit Hilfe entsprechender Indikatoren überwacht werden, könnten die Ergebnisse die Basis für die nächsten Schritte darstellen. Verstößen oder Zielverfehlungen würden Sanktionen durch die EU drohen. Die Gemeinsame Agrarpolitik sollte somit leistungsorientierter und angepasster werden. Grundsätzlich unterstützen wir diesen Ansatz. Mit den Abstimmungen in dieser Woche stand die Entscheidung über dieses neue Modell und über konkrete Inhalte und Ziele für die europäische Agrarpolitik an.
Vier Etappen der Abstimmung
1. Komplette Zurückweisung des Kommissionsvorschlages Dieser Vorschlag, hauptsächlich von Grünen und Linken getragen, wurde deutlich abgelehnt (Zustimmung 166 / Ablehnung 503 / Enthaltung 22).
2. Basiskompromiss von S&D, EVP, RE zur Schadensbegrenzung
1. Budget in der Gemeinsamen Agrarpolitik
Die S&D konnte sich mit ihrer harten Position - mindestens 30 % für die sogenannten Öko-Regelungen verpflichtend für alle Mitgliedstaaten - durchsetzen. Dies war die Position des Umweltausschusses und wurde dort von allen Fraktionen (inkl. Fraktion der Grünen) gefordert. Diese Gelder sind sogenannte Programmgelder in der ersten Säule. LandwirtInnen sollen damit für öffentliche Leistungen, wie dem Klima-, Umwelt- und Tierschutz, bezahlt werden. Die Programme der Eco-Schemes müssen von der EU-Kommission genehmigt, alle zwei Jahre überprüft und gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten angepasst werden, wenn die Klima- und Umweltziele mit diesen nicht erreicht werden. Gelder für die landwirtschaftliche Beratung oder Investitionen in der zweiten Säule müssen zu mindestens 30 % dem Klima dienen. Die Agrarumweltmaßnahmen in der 2. Säule dürfen 35 % nicht unterschreiten und beim Verschieben von Geldern zwischen den Säulen schränken wir die Verwendungsmöglichkeit ausschließlich auf klimarelevante Ansätze ein.
2. Die Konditionalität
Sie bildet in Zukunft die Basis für alle LandwirtInnen, um Direktzahlungen zu erhalten. Zum Beispiel gilt ein verpflichtendes Mindestmaß von 3m für Pufferstreifen, Fruchtwechsel verpflichtend mit Leguminosen oder die Verpflichtung, dass in den Mitgliedstaaten kein Hektar Dauergrünland verloren gehen darf. Die geforderten 10% nichtproduktiven Flächen konnten wir nicht in GLÖZ 9 festschreiben und mussten uns auf eine schwächere Formulierung einlassen, nach der die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, dass diese 10 % in ihren Strategieplänen erreicht werden (Recital 22a).
3. Kein rechnerischer Klimaschutz
Die EU-Kommission will zurecht, dass 40 % des GAP-Budgets zu den Klimazielen beitragen. Dafür hat sie jedoch vorgeschlagen, 40 % der Direktzahlungen automatisch als Klimagelder zu verbuchen. Auf diesen Flächen gibt es aber keine Klima- oder Umweltschutzmaßnahmen, die einen solchen Betrag rechtfertigen. 40 % der aktuell geplanten Direktzahlungen würden, nach den aktuellen Verhandlungen der EU-Kommission zum MFR, einen niedrigen dreistelligen Milliarden Betrag bedeuten. Oder anders ausgedrückt, würde in etwa 1/10 des gesamten EU-Budgets grün angestrichen werden, ohne echte Wirkung auf der Fläche. Wir haben uns mit unserer Forderung nach einer wissenschaftlichen Berechnung der Wirksamkeit der GAP-Maßnahmen durchgesetzt, denn mit uns gibt es kein Green-Washing. Wir werden genau hinsehen, ob die GAP bei der Umsetzung diese Beträge ehrlich erreicht.
Dieses Paket war für uns, nach den Erfahrungen aus dem Agrarausschuss und den Verhandlungen, das Mindestmaß an Fortschritt. Im Nachhinein hat sich das als absolut richtig erwiesen. Als Einzelabstimmungen hätten wir alle wichtigen Punkte verloren. Zugleich war für uns klar, wir machen keine Kompromisse bei der Frage, was die GAP leisten muss.
Mit folgenden Änderungsanträgen haben wir unsere Ideen als Sozialdemokratische Fraktion noch einmal versucht, deutlich zu machen:
Diesen Punkt haben wir verloren.
Herausgekommen ist ein zerbrechlicher Link zum Pariser Klimaabkommen, der aber zum Einen keine verbindlichen Reduktionsziele für die Gemeinsame Agrarpolitik vorsieht, und zum Anderen auch nicht sicherstellen kann, dass die aktuellen Ziele im Klima- und Umweltschutz mit der GAP einhergehen. Schlimmer noch als das wiegt die fehlende Verbindung zum European Green Deal. Bei der Erarbeitung der Strategischen Pläne gibt es für die Mitgliedstaaten keine rechtliche Verpflichtung, das neue Flaggschiff Europas, den European Green Deal, bei der Festlegung ihrer Ziele zu berücksichtigen. Die Farm to Fork Strategie und die Biodiversitätsstrategie sollen unsere Landwirtschaft und den Lebensmittelsektor in eine neue Ära führen. Jetzt das entsprechende Hauptinstrument zur Umsetzung dieser Strategien völlig losgelöst von diesen beiden Initiativen zu implementieren, ist ein großer Fehler.
Dies hat als einer der wenigen progressiven Punkte im Plenarsaal eine Mehrheit erhalten.
Auch dies ist leider nicht erfolgreich gewesen.
Alle diese Punkte haben unsere Stimmen als SPD bekommen. Doch wie anfänglich beschrieben, ist die Mehrheit der Abgeordneten am Sonntag bereit den Klimanotstand auszurufen, aber am Montag nicht bereit, Agrarpolitik zu verändern.
Unsere rote Linie, die Agrarpolitik an den Europäischen Green Deal zu binden, wurde gerissen. Eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Nationalkonservativen hat gegen unsere wichtigste Bedingung gestimmt. Andere Fraktionen haben vorzeitig aufgegeben.
Es gibt einen neuen gesellschaftlichen Konsens für eine sozial-ökologische Wende in Europa: den Europäischen Green Deal. Dieser Wille zur Veränderung und Handlungsbereitschaft spiegelt sich in dieser Parlamentsposition leider nicht wider. Wir tragen keine Agrarreform mit, die das Flaggschiff Europas, den Europäischen Green Deal, von der Gemeinsamen Agrarpolitik weitgehend entkoppelt. Weder gibt es eine starke Verbindung zum Pariser Klimaabkommen, damit die Landwirtschaft ihren gerechten Beitrag zum Kampf gegen die Klimakrise beiträgt, noch wird die Gemeinsame Agrarpolitik der neuen EU-Artenschutzstrategie oder der Farm-to-Fork-Strategie gerecht, die bessere Produktions- und Lieferketten für landwirtschaftliche Erzeugnisse ebenso fördert, wie sie den Pestizid-, Dünger- und Antibiotika-Einsatz begrenzt. Landwirtschaftspolitik muss auch Umwelt- und Klimapolitik sein. Das wird mit dieser Reform nicht erreicht.
Deshalb stimmen wir gegen die vorliegenden Vereinbarungen.
Hier trägt auch Ursula von der Leyen eine große Verantwortung, da sie nach den lobenswerten Aufschlägen zum Europäischen Green Deal und der Farm-to-Fork Strategie die alten Vorschläge der Juncker-Kommission auf dem Tisch gelassen hat. Der Vorschlag ist erst zwei Jahre her, politisch kommt er aber aus dem Steinzeitalter. Und nur mit Keulen bewaffnet, werden wir die Klimakrise und den Biodiversitätsverlust auf der Fläche nicht aufhalten können.
Wir werden weiter Druck für eine Agrarreform machen, die die Ambitionen der Europäischen Union in Sachen Green Deal erfüllt.
Der Rat der LandwirtschaftsministerInnen hat parallel zu den Abstimmungen im Parlament eine noch schwächere Haltung gegenüber Klima- und Umweltschutz beschlossen. Eco-Schemes sollen lediglich 20 Prozent aus dem ersten Agrar-Fördertopf zur Verfügung stehen. Der Beschluss zeigt, wie dringend wir eine ambitionierte Agrarpolitik aus dem Parlament gebraucht hätten.