Der folgende Text ist am 9. Mai im Europe.Table erschienen. Das tägliche Professional Briefing schafft Transparenz zwischen allen Akteuren der Europapolitik, informiert frühzeitig über geplante Regulierungsvorhaben und begleitet sie eng im Gesetzgebungsprozess. Zur Website: https://go.table.media/oUJSO
Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl ist empört über die Blockade der EVP in der EU-Naturschutzpolitik. Im Standpunkt wirft sie Manfred Weber und seinen Parteifreunden vor, bei zahlreichen Fortschrittsthemen auf der Bremse zu stehen.
Die EVP-Fraktion, zu der im EU-Parlament CDU und CSU gehören, blockiert einen aktuellen Vorschlag zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden. Die gewählten Reduktionsziele seien einfach nicht realisierbar. Ebenso lehne man das vorgeschlagene Gesetz zur Erholung der Natur ab, heißt es in einem Beschluss der Fraktion.
EVP-Chef Manfred Weber kündigt zudem an, dass sich die EVP für ein Moratorium gegen viele Gesetzesvorschläge der EU-Kommission aussprechen wird, um für ein bis zwei Jahre erst mal überhaupt keine neuen Gesetze zu beschließen.
Als S&D-Verhandlungsleiterin für die Reform der EU-Agrarpolitik lese ich jetzt schwarz auf weiß, was schon seit Monaten im Parlament zu spüren ist. Manfred Weber und Co stehen bei zahlreichen Fortschrittsthemen auf der Bremse. Scheinmitarbeit und Verwässerungs-Aktionen im Agrarausschuss werden jetzt zur offenen Blockade. Dies alles angeblich im Namen der Ernährungssicherheit und der Landwirt:innen in Europa.
Ohne Bestäuber keine Landwirtschaft
Man muss nur bis fünf zählen können, um dieses Handeln der EVP im Europäischen Parlament einordnen zu können:
Wer beschützt wen? Möglichkeiten der Bewirtschaftung in der Landwirtschaft dauerhaft zu bewahren, ist das Ziel der derzeitigen Initiativen der EU-Kommission. Ohne Bestäuber gibt es beispielsweise keine Landwirtschaft. Doch Manfred Weber und die EVP wollen die Landwirt:innen vor bienenschonenden Gesetzen bewahren.
Um dauerhaft fruchtbare Landwirtschaft zu ermöglichen und dabei den Landwirt:innen ein faires Einkommen zu ermöglichen, muss die EU allerdings die Bienen schützen. Für den Bienenschutz setzt sich die S&D-Fraktion ein. Warum arbeitet die EVP nicht gemeinsam daran mit? Der Klimawandel ist die Bedrohung, der Artenverlust zwingt die Landwirt:innen in die Knie – nicht Brüssel mit den dringend notwendigen Pestizid-Einsparungen und Gesetzen zur Renaturierung.
Die Ankündigung, ein bis zwei Jahre keine neuen Gesetze mehr zu beschließen, ist tatsächlich Arbeitsverweigerung. Es ist unsere Aufgabe als Europapolitiker:innen, Verantwortung zu übernehmen und Antworten auf aktuelle Herausforderungen zu geben.
Auseinandersetzungen mit Berufsgruppen brauchen Einsatz. Mit den LKW-Fahrer:innen, wenn es um verpflichtende Pausen geht, mit den Unternehmer:innen, wenn es um Datenschutz der Mitarbeiter:innen geht und ebenso auch mit Landwirt:innen, die Sorge vor der Zukunft haben. Diese Arbeit darf auch der EVP nicht zu schwierig sein. Der Vorschlag der EVP: „Brüssel lässt die Bauern jetzt mal arbeiten!“, ist zynisch und gefährlich.
Europäische Lösungen in der Agrarpolitik
Die EVP als größte Parteienfamilie in Europa will in Krisenzeiten der Landwirtschaft die Lösungen den Nationalstaaten überlassen. Während in der Finanzkrise, der Flüchtlingskrise und beim Krieg in der Ukraine immer die europäischen Lösungen herbeigesehnt wurden, lässt die EVP jetzt die Bäuerinnen und Bauern im Stich. Das europäische Projekt wird mit einer solchen Verweigerungshaltung von Manfred Weber geschwächt. Die vollständig vergemeinschaftete Agrarpolitik bedarf gemeinsamer Lösungen und des weiteren Ausbaus der europäischen Gesetzgebung für den Lebensmittel-Anbau.
Basis für dieses uneuropäische Handeln ist immer noch das Zweifeln an der Dringlichkeit der Gesetzgebungen. Das Europäische Parlament hatte im November 2019 den Klimanotstand ausgerufen. Wissenschaftlich mehrfach belegt sind der gefährliche Rückgang von Bestäubern wie Bienen, insbesondere auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, und die Notwendigkeit der Renaturierung.
Wenn die EVP die wissenschaftliche Basis des Notstands verstehen und akzeptieren würde, wäre ein Aufruf, zwei Jahre die Hände in den Schoß zu legen, undenkbar. Der Rückschluss ist klar: Die EVP leugnet die Dringlichkeit und die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Basis unserer Gesetzgebung darstellt.
Der traurige Kern: Der EVP, Manfred Weber und Co, geht es nicht um die Landwirtschaft, um Bienen oder um Wasser. Es geht ihr um die Stimmen am rechten und ganz rechten Rand in der EU.
Herausforderungen lassen sich nicht aussitzen
Noch ein paar Worte zu den vielen Landwirt:innen in der Europäischen Union: Der Klimawandel, der extreme Artenverlust, der Verlust der Bodenfruchtbarkeit und der Wassermangel in Europa ist eine konkrete, große Bedrohung unserer Landwirtschaft. Aufgabe der Gesetzgeber ist, dies festzustellen und Gegenmaßnahmen einzuleiten, auch mitunter anstrengende. Es ist unsere Pflicht, Landwirt:innen durch diese schwere Zeit zu begleiten und einen Transformationsprozess einzuleiten, bei dem auch kleine und mittlere Betriebe nicht unter die Räder kommen.
Wenn politische Parteienfamilien wie die EVP versprechen, sie könnten diese Herausforderungen aussitzen – glauben Sie ihnen nicht. Für die EVP ist der Erntezeitpunkt der Wahltag im Sommer 2024. Als Landwirt:innen wissen Sie, auch die nächste, übernächste und darauf folgende Ernte muss Ertrag bringen. Seien Sie weitsichtiger als die EVP und ihre Blockadehaltung.