Die EU-Kommission will am morgigen Mittwoch einen Vorschlag vorlegen, um im Zuge der Kriegsfolgen die Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelversorgung in der EU zu stärken. Laut eines Entwurfs wird an einer Ausnahmegenehmigung gearbeitet, um zur Verfügung stehende Flächen soweit wie möglich für die Nahrungsmittelerzeugung und die Tierfütterung zu nutzen. So sollen die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, geltende ökologische Auflagen im laufenden Jahr auszusetzen. Damit sollen Landwirt*innen brachliegende Flächen auch mit Pestiziden bewirtschaften können. Das Europäische Parlament wird darüber am morgigen Mittwoch debattieren und am Donnerstag, 24. März 2022, ab 11.30 Uhr, eine Resolution zur EU-Ernährungssicherheit abstimmen.
Ein Aussetzen der ohnehin wenig ambitionierten Klimaschutzvorgaben bei den europäischen Agrarsubventionen ist völlig unsinnig und muss vom Tisch, das ist liberal-konservativer Opportunismus.
Die EU muss autonomer werden, was ihre Lebensmittelproduktion betrifft. So müssen wir künftig von unseren eigenen Flächen leben. Dafür ist ein nachhaltigeres Landwirtschaftsmodell nötig. Die landwirtschaftlichen Importe aus der Ukraine werden insbesondere für die heißgelaufene Tierproduktion in der EU gebraucht. Daher ist der Krieg in der Ukraine für uns in der EU in erster Linie ein Problem für die Tierproduktion. Langfristig können und sollten wir mehr Flächen für den menschlichen Verzehr als für die Produktion von Futtermitteln freimachen und den Viehbestand entsprechend verringern. Damit kämpfen wir gegen höhere Preise und gleichzeitig würde weniger Nitrat in die Böden geführt.
Gleichzeitig bietet die gemeinsame Marktordnung der EU-Agrarpolitik Möglichkeiten, auf Preiserhöhungen zu reagieren. Dabei muss unterstrichen werden, dass die drastischen Preissteigerungen bei Agrargütern teilweise keine Folge von aktuellen Engpässen, sondern von Zockerei am Markt sind. Die großen Energie- und Agrar-Konzerne versuchen am Krieg mitzuverdienen.
Wir müssen trotz Krieg und Krise unsere Umwelt und Böden schützen, wenn wir in Europa auch in der Zukunft noch Landwirtschaft betreiben wollen. Die Klimaziele auszusetzen, kann schwere langfristige Folgen für die Umwelt und die Biodiversität haben und damit auch für unsere zukünftige Ernährungssouveränität. Die Natur braucht in vielen Regionen der EU Rückzugsorte, die Böden brauchen Pausen von der intensiven Bewirtschaftung und Pestizide müssen weiter minimiert werden. Die Konsequenzen sind mit denen einer ausbleibenden Klimapolitik vergleichbar. Auch in der Landwirtschaft gibt es Kipppunkte, die nicht einfach zu korrigieren sind.
Die Ukraine ist ein großer Nahrungsmittel-Lieferant und wichtiger Handelspartner der EU im Agrarsektor. Während für Europa derzeit vor allem steigende Kosten bei Futtermitteln erwartet werden, könnten die Auswirkungen für weitere Länder weitaus dramatischer werden. Ukrainisches Getreide wird in großem Maße in einkommensschwache Länder exportiert. Besonders in den Mittelmeerländern in Nordafrika und im Nahen Osten könnten die Folgen des russischen Angriffskriegs die politische Instabilität verstärken. Der Libanon beispielsweise bezieht etwa 45 Prozent seiner Getreide-Einfuhren aus Russland und der Ukraine. Die EU sollte Drittstaaten bei der Bekämpfung möglicher Engpässe zur Seite stehen.