Die europäische Agrarpolitik mit ihrem Budget von 54 Milliarden Euro jährlich wird alle sieben Jahre reformiert. Der vorliegende Kommissionsvorschlag aus dem Jahr 2018 zur GAP-Reform besteht aus drei Verordnungen (die sogenannte Strategieplanverordnung, die Verordnung zur Kontrolle und Finanzen und die Verordnung zur Gemeinsamen Marktordnung). Der Vorschlag des ehemaligen Agrarkommissars Phil Hogan hätte für die europäische Agrarpolitik ein Paradigmenwechsel werden können, wenn die Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten mittels europäischer, progressiver Mindeststandards sichergestellt worden wäre.
Zukünftig werden die Mitgliedstaaten auf Grundlage einer SWOT-Analyse ihre Maßnahmen und Schwerpunkte in der Agrarpolitik mit Hinblick auf die europäischen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Ziele ausgestalten. Die Zielerreichung wird von der EU-Kommission mit Hilfe entsprechender Indikatoren überwacht. Falls die selbstgesteckten Ziele verfehlt werden, wird die Kommission im Dialog mit den Mitgliedstaaten Empfehlungen aussprechen, wie diese Ziele noch zu erreichen sind. Die Gemeinsame Agrarpolitik soll somit leistungsorientierter und an die nationalen Gegebenheiten angepasst werden. Grundsätzlich unterstützen wir diesen Ansatz. Für uns SPD-Europaabgeordneten stand aber auch im Mittelpunkt, dass die neue Gemeinsame Agrarpolitik fairer, nachhaltiger und den Zielen des Green Deals dienlich ist. Mit den finalen Abstimmungen am 23. November 2021 stand die Entscheidung über dieses neue Modell sowie über konkrete Inhalte und Ziele für die europäische Agrarpolitik an.
Zentrale Unzulänglichkeiten des gefundenen Kompromisses
Die GAP wird nicht nachhaltiger
Den wenigen ambitionierten Positionen des Europäischen Parlaments wurde in den Trilogverhandlungen ein grünes Mäntelchen umgehängt. Das Budget der Öko-Regelungen - Maßnahmen, die den Klima-, Umwelt- und Tierschutz dienlich sind - kann über die gesamte Förderperiode von den Mitgliedstaaten in die reinen Flächenzahlungen verschoben werden. Zudem gibt es eine zweijährige Lernphase für die Mitgliedstaaten, in der dieser Budgetanteil bis zu 20 % sinken kann. Auch bei der Berechnungsmethode der Klima- und Umweltleistungen der GAP geht es nicht mit rechten Dingen zu. Flächen, wie etwa benachteiligte Gebiete, die nachweislich keine Umweltauflagen haben, werden anteilig als dem Klimaschutz dienlich angerechnet. Die EU-Kommission will zurecht, dass 40 % des GAP-Budgets zu den Klimazielen beitragen. In den Verhandlungen der drei europäischen Institutionen hat sich der Vorschlag der Kommission durchgesetzt, dass 40 % der nahezu bedingungslosen Flächenzahlungen automatisch als Klimagelder verbucht werden. Auch 40 % der Gelder für Flächen in benachteiligten Gebieten werden angerechnet, obwohl es für diese keine Klima- oder Umweltschutzmaßnahmen, die einen solchen Betrag rechtfertigen, gibt. 40 % der aktuell geplanten Direktzahlungen bedeuten im MFR einen niedrigen dreistelligen Milliarden Betrag. Oder anders ausgedrückt, es würde in etwa 1/10 des gesamten EU-Budgets rechnerisch dem Klimaschutz angerechnet werden, ohne dass das Geld auf der Fläche eine wirkliche Wirkung erzielt. Zu einer wirklichen wissenschaftlichen Berechnungsmethode kommt es nun erst nach 2025. Verlorene Jahre für eine ehrliche GAP, bis dahin werden die Beträge grün gewaschen.
Eine ambitioniertere Ausgestaltung der Mindestanforderungen, die sogenannte Konditionalität, wurde massiv vom Rat blockiert. Hier musste das Europäische Parlament am meisten Federn lassen, auch weil der Berichterstatter der EVP diese Positionen des EPs nur unzureichend verteidigte. Zudem fehlt uns der Link zu zentralen Zielen der EU in Sachen Klimaschutz. Herausgekommen ist ein zerbrechlicher Link zum Pariser Klimaabkommen, der aber zum einen keine verbindlichen Reduktionsziele für die Gemeinsame Agrarpolitik vorsieht, und zum anderen auch nicht sicherstellen kann, dass die aktuellen Ziele im Klima- und Umweltschutz mit der GAP erreicht werden. Schlimmer noch als das wiegt jedoch die fehlende Verbindung zum European Green Deal. Bei der Erarbeitung der Strategischen Pläne gibt es für die Mitgliedstaaten keine rechtliche Verpflichtung, das neue Flaggschiff Europas, den European Green Deal, bei der Festlegung ihrer Ziele zu berücksichtigen. Die Farm-to-Fork-Strategie und die Biodiversitätsstrategie sollen unsere Landwirtschaft und den Lebensmittelsektor in eine neue Ära führen. Jetzt das entsprechende Hauptinstrument zur Umsetzung dieser Strategien völlig losgelöst von diesen beiden Initiativen zu implementieren, ist ein großer Fehler. Die Gefahr besteht, dass die Mitgliedstaaten jetzt die Weichen konträr zu den kommenden europäischen Zielen des Green Deals setzen. Der europäische Agrarkommissar hat bereits angekündigt, dass dies bei der Genehmigung der Pläne kein Problem darstelle.
Die GAP wird nicht fairer
Ein zentrales Anliegen unserer Fraktion war eine effektive Obergrenze von Direktzahlungen. Der gefundene Kompromiss wird aber nicht zu einer nennenswerten Umverteilung der Mittel zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe führen. Auch künftig werden Millionenbeträge an multinationale Holdings gehen, während der durchschnittliche Betrieb in der EU im ungleichen Wettbewerb unter die Räder kommt. Dafür haben die europäischen Staats- und Regierungschefs im Vorfeld des Abschlusses der Verhandlungen mit einer gemeinsamen Erklärung gesorgt. Das europäische Gesetzgebungsverfahren, mit dem Parlament als Mitgesetzgeber, wird hier ad absurdum geführt. Die Ungerechtigkeit, dass 80 Prozent der Gelder lediglich 20 Prozent der Betriebe zugutekommen, wird auch in den kommenden Jahren Milliarden an Steuergeldern wirkungslos für den Umwelt- und Klimaschutz bleiben lassen. Lichtblick bei der Reform der GAP Ein zentrales politisches Anliegen der europäischen Sozialdemokrat*innen haben wir in den Verhandlungen durchsetzen können. Die Ausbeutung Beschäftigter in landwirtschaftlichen Betrieben wird in Zukunft erstmals sanktioniert. Bei Verstößen werden EU-Fördergelder gekürzt. Das Sozialdumping schwarzer Schafe wird nun nicht mehr mit EU-Geldern belohnt. Anständige ArbeitgeberInnen in der Landwirtschaft müssen nicht mehr mit LohndrückerInnen konkurrieren. Dies ist ein großer Erfolg für die europäische Sozialdemokratie und wird die Gemeinsame Agrarpolitik fundamental verändern. Dieser Lichtblick kann aber nicht über die grundlegenden Unzulänglichkeiten des Kompromisses hinwegtäuschen. Zu schwer wiegen diese bei der endgültigen Abwägung über eine finale Zustimmung oder Ablehnung.