Ein offener Brief zum Lieferkettengesetz in Europa

10. Oktober 2025

Schämen Sie sich, Herr Weber!

Über Jahre wurde im Europäischen Parlament zum Thema Lieferketten gearbeitet. Hart gearbeitet. Hart gerungen. Im Grunde geht es um eine Selbstverständlichkeit: Große europäische und nicht-europäische Unternehmen, die in der EU verkaufen wollen, zu verpflichten, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihren globalen Lieferketten einzuhalten. Es geht um Menschenrechte, Haftung, Umweltstandards und um das Versprechen, dass Verantwortung nicht an einer nationalen Grenze endet. Das Lieferkettengesetz könnte auch Verantwortungskettengesetz heißen. Es bündelt, wie kein anderes Gesetz, die Werte der EU.

Seit der letzten Europawahl, nach dem Erstarken der Faschisten im Europäischen Parlament, führt Herr Weber die EVP wie ein „swing-state Chef“: Mal stimmt die Fraktion der EVP, der auch die CDU/CSU angehört, mit den demokratischen Fraktionen, mal lässt sie sich passiv von den Faschisten unterstützen. Dies wurde bei der Abstimmung einer Resolution zu Venezuela im September 2024 zum ersten Mal deutlich. Seit diesem Zeitpunkt wird der Zusammenschluss von Konservativen mit Rechtsextremen als sogenannte Venezuela-Koalition bezeichnet. Die Zeiten, dass die Venezuela-Koalition nur bei Resolutionen aktiv wurde, sind vorbei.

Jetzt geht es um Gesetze.

Im Rahmen der sogenannten Vereinfachungskampagne der EU-Kommission wird mit einem Omnibus-Gesetzesvorschlag das Lieferkettengesetz von der EVP, mit Manfred Weber (CSU) an der Spitze, in den Reißwolf gesteckt. Übrig bleiben Restfragmente, die in Umfang und Wirkung nichts mehr mit dem Lieferkettengesetz zu tun haben. So wird zum Beispiel die Anzahl an Unternehmen, die unter das Gesetz fallen, stark beschnitten und die zivilrechtliche Haftung gestrichen.

Diese „Reißwolfschnipsel“ wirft Herr Weber nun den demokratischen Fraktionen zum Fraße vor: Friss oder …

Das ODER ist diesmal ganz offen und klar auf den Tisch gelegt worden. Wenn die Demokratinnen und Demokraten im EP nicht dem „Gesetzesrest“, das den Namen Lieferkettengesetz nicht mehr verdient, zustimmen, dann sagt die EVP offen, dann gehen sie mit den Faschisten.

Als demokratisches Mitglied im Europäischen Parlament kann ich hierbei nur eine Antwort an Herrn Manfred Weber geben:

Dann tun Sie es! Machen Sie offen mit den Demokratietötern gemeinsame Sache. Es ist Ihre Verantwortung und wird später in allen Geschichtsbüchern zu lesen sein. Ich tue es nicht. Ich bin nicht erpressbar. Meine Aufgabe ist es, der Demokratie in Europa zu dienen. Niemals werde ich für Sie, Herr Weber, das Alibi spielen! Meine Stimme steht klar gegen die Abschwächung des Lieferkettengesetzes und gegen jede Aufweichung der demokratischen, wertegebundenen und menschenfreundlichen Grundausrichtung der EU.

Hintergrund:

Im deutschen Koalitionsvertrag (siehe unten) wurde exakt dieser Handlungsweise eine klare Absage erteilt:

„Die demokratischen Parteien der politischen Mitte tragen eine besondere Verantwortung für den Schutz und die Stärkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Koalitionspartner schließen auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien aus. Dies betrifft im Parlament unter anderem gemeinsame Anträge, Wahlabsprachen oder sonstige Formen der Zusammenarbeit."

Auszug aus dem Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD in Deutschland 2025

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