Am 19. Januar 1919 hieß es in Deutschland zum ersten Mal „Frauen an die Urnen!“, einen Monat danach bereits „Frauen in das Parlament!“. Nachdem mehr als 80 Prozent der Frauen ihre Stimme abgegeben hatten, zogen 37 weibliche Abgeordnete in die Nationalversammlung ein. Ein kleiner, erster Schritt, bedenkt man, dass dort insgesamt 423 Abgeordnete saßen.
Dies war der Beginn eines Jahrhunderts, in dem die Frau nach und nach die gleichen Rechte erwerben sollte wie der Mann. Und auch das dominierende Frauenbild der damaligen Zeit hat sich extrem gewandelt - Stereotype, Diskriminierung und Barrieren unterschiedlicher Art bestehen jedoch weiterhin in ganz Europa.
Dies wird auch am bisher geringen Frauenanteil im Europäischen Parlament deutlich. 1952, als die Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedstaaten noch von diesen entsandt wurden, waren es gerade mal 1,3 Prozent. Über fünf Prozent ging es dann das erste Mal durch die ersten direkten Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 1979: Der Frauenanteil stieg auf 16,6 Prozent. Seither geht es zögerlich aufwärts, sodass wir in dieser Legislaturperiode einen Frauenanteil von 37,4 Prozent haben.
Damit ist bisher eine ungebrochene und positive, wenn auch zögerliche, Entwicklung zu sehen. Ich befürchte jedoch, dass sich bei den Wahlen am 26. Mai dieses Jahres dasselbe Trauerspiel wiederholen könnte, das wir bei den letzten Bundestagswahlen erleben mussten. Hier ist der Frauenanteil auf den Stand von 1998 gefallen - eine Tatsache, die ganz klar den männlich dominierten Parteien des rechten Spektrums zuzurechnen ist. Diese haben meist nur ein oder zwei Frauen in ihrer ersten Reihe und deren Frauenanteil ist insgesamt weitaus geringer als bei anderen Parteien ist.
Nicht in allen europäischen Mitgliedstaaten gibt es Quoten oder Reißverschlusssysteme, die so etwas verhindern könnten. Daher hilft nur eines: die Stimme der Wählerinnen und Wähler, die bei ihrer Wahl ganz konkret darauf achten sollten, Frauen und Parteien zu wählen, die sich auch für die Wahrung der Grundrechte der Frauen aussprechen. Nur so können wir dafür sorgen, dass das Europäische Parlament die gesamte europäische Gesellschaft repräsentiert und so auch Entscheidungen trifft, die für alle Europäerinnen und Europäer die richtigen sind.
Neben der politischen Teilhabe muss sich die Europäische Union noch stärker für Frauenrechte einsetzen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament fordern daher eine europäische Gleichstellungsstrategie, den Abschluss der Verhandlungen zur Richtlinie zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die umgehende europäische Ratifizierung der Istanbul Konvention als unmittelbare Schritte auf dem Weg zur absoluten Gleichstellung der Geschlechter.