Wer an einem Wochentag, fernab von Ferienzeiten, auf der Straße unterwegs ist, sieht, dass Pflege und Betreuung ganz klar in der Hand der Frauen in unserer Gesellschaft liegt:
Die Mutter, die mit ihrem kranken Kind aus der Praxis der Kinderärztin kommt. Die Frau, die nach Schichtende noch schnell im Supermarkt Besorgungen für ihre Eltern macht. Die drei Frauen, die die Seniorinnen vor dem Pflegeheim durch den Park fahren. Und die Frau, die gerade aus einer Wohnung kommt, die nicht ihre eigene ist, weil sie dort geputzt hat.
All dies sind Tätigkeiten, die unsere Welt am Laufen halten. Und Tätigkeiten, die es jemand anderem erlauben, erwerbstätig zu sein. Denn obwohl wir fast alle Pflegeverantwortung haben, gibt es immer wieder Momente am Tag oder im Leben, in denen wir diese an jemand anderen weitergeben. Mal besser, mal schlechter bezahlt. Und mal besser und mal schlechter sozial abgesichert.
Diese Tätigkeiten, die wir oft gar nicht wahrnehmen, sind durch die Pandemie der vergangenen Jahre stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein geraten. Und so wurde auch deutlich: Wir brauchen eine europäische Strategie, die die Pflege- und Betreuungsarbeit ins Visier nimmt: Zugänglichkeit sicherstellt, Arbeitsbedingungen verbessert. Forderungen, die wir Sozialdemokrat:innen schon lange äußern und die nun von der Kommission erhört wurden. Dabei stellen sie zum einen das Thema Langzeitpflege und zum anderen die Barcelona-Ziele zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in den Mittelpunkt.
Wir begrüßen die Betonung von Qualität, Erschwinglichkeit, Zugänglichkeit und Inklusivität als Kernelemente dieser Dienste. Auch die notwendige Aufwertung des Sektors und die damit einhergehenden verbesserten Arbeitsbedingungen sowie ein angemessener Lohn sind wichtige Punkte. Dies ist auch dringend notwendig, um endlich das geschlechtsspezifische Lohngefälle und die Stereotype abzubauen. Die Strategie erkennt zudem an, dass Pflege für die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter insgesamt von entscheidender Bedeutung ist. Die Anhebung der Barcelona-Ziele, also die Anzahl der Kinder in spezifischen Altersgruppen in frühkindlicher Förderung und Betreuung, ist der Schlüssel zu mehr Unabhängigkeit und bezahlter Erwerbstätigkeit von Frauen. Wir müssen aber ganz klar sagen: Die bisherigen Ziele wurden nur von wenigen Mitgliedstaaten umgesetzt. Ohne gesellschaftlichen Wandel und klare Vorgaben, werden auch die neuen Ziele nur gut gemeinte Vorschläge bleiben.
Ein klarer Mangel ist zudem, dass informelle Arbeit im Pflege- und Dienstleistungssektor kaum Erwähnung findet. Dabei ist genau dies der Bereich, in dem keine Qualitätskontrolle, keine Kontrolle der Arbeitsbedingungen, keine Kontrolle der Wahrung der Würde stattfindet. Alles Punkte, die sowohl die pflegende als auch die zu pflegende Person, besonders betreffen.
Ich wünsche mir daher in der Zukunft mehr Mut in Sachen Pflege und Betreuung. Natürlich ist dies kein Bereich, in dem die EU eine klare Kompetenz hat. Doch sie muss auch weiter richtungsweisend vorangehen und sicherstellen, dass Mitgliedstaaten hier gleich gut aufgestellt sind. Das ist nicht nur eine Frage der europäischen Werte, wie Gleichstellung oder die Wahrung der Würde der Menschen in unserer Gesellschaft, sondern ganz klar auch eine wirtschaftliche Frage.
Wen das Thema interessiert, findet hier
den Vorschlag der Kommission.