Auf Einladung der Hilfsorganisation CARE International war es mir Ende August möglich, das südostafrikanische Land Malawi kennen zu lernen. CARE ist uns in Deutschland vor allem durch die Lieferung der sogenannten Care-Pakete während der Nachkriegszeit bekannt. Heute arbeitet CARE in 95 Ländern weltweit und setzt sich für den Kampf gegen Armut ein.
Der Fokus liegt dabei auf der Ermächtigung von Frauen und Mädchen für eine bessere Zukunft sowie auf einer besseren Landwirtschaftspolitik, um Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten. Daher passte das Programm in Malawi auch punktgenau zu meiner Ausschuss- und Delegationsarbeit in Brüssel.
Im Zusammenhang mit meiner Arbeit im Landwirtschaftsausschuss stellten sich zunächst einige Fragen: Welche Bäume werden in Zukunft als Feuerholz dienen – vor allem wenn die Bevölkerungsentwicklung so weiter geht? Wie lange wird es dauern bis auf erneuerbare Energie umgestellt werden kann? Welche Pflanzen können der Klimaveränderung und den Auswirkungen des in Malawi mit extremer Dürre einhergehenden Phänomens El Niño standhalten? Woher kommt in Zukunft das Wasser für die wachsende Bevölkerung? Welche Bewässerungsart ist praktikabel und bezahlbar? Wie kann die einseitige Ernährung der Menschen, die in Armut leben und sich oft nur von Mais ernähren, eine Vollernährung werden?
Viele andere afrikanische Länder betreiben bereits eine technisierte Landwirtschaft. Vor Malawis Grenzen enden jedoch alle Entwicklungen. Hier gibt es nicht einmal einen Pflug oder einen Ochsen, der einen Karren zieht. Der Boden wird nur mit einer Hacke und mit an Macheten erinnernde Messer bearbeitet. Die fehlende Bildung, die extrem hohe Bevölkerungszunahme und die unsägliche Korruption im Lande machen Malawi, das bereits jetzt eines der zwanzig ärmsten Länder der Welt ist, jeden Tag noch ein Stück ärmer. Ich musste auf dieser Reise nur das Zusehen aushalten – die Menschen vor Ort sind in dieser Spirale gefangen.
Auch im Hinblick auf meine Arbeit im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter brachte mir diese Reise neue Einblicke: Fehlende Bildung und rückwärtsgewandte Traditionen führen zu einer starren Trennung der Gesellschaft in die Frauenseite und die Männerseite. Frauen sind hier meist zuständig für das Sammeln von Feuerholz, das Kochen und das Tragen von Wasser. Durch mangelnden Zugang zu Verhütungsmitteln ist auch ein Kind pro Jahr nicht ungewöhnlich.
Ein Highlight der Reise war für mich, die Frauenrechtsaktivistin Kachindamoto persönlich kennen zu lernen. Sie ist so etwas wie eine Ortsobfrau, wobei ihr Titel "Chief Authority" in ihrer Familie weitervererbt wird. Sie ist die Oberste im Dorf und geht ganz ungewöhnliche Wege. Während all ihre männlichen "Kollegen" in den anderen Dörfern bei jeder Hochzeit Zuwendungen der Brautpaare bekommen, lehnt sie diese ab und kämpft vor allem für eine andere Sache: Girls back to school.
Mädchen, die oft mit 13 Jahren zum ersten Mal schwanger sind, werden dazu ermutigt, ein paar Monate nach der Geburt in die Schule zurück zu gehen. Denn nur Bildung, und ganz besonders die der Frauen und Mädchen, kann die Armutsspirale durchbrechen. Ihre Arbeit ist erfolgreich und ihr Dorf in diesem Sinne ein Vorzeigeprojekt. Wie wohltuend war das Abendessen mit dieser charismatischen Frau. Sie geht neue Wege – weiß bei Kritik aber zu reagieren: "Ich bin der Chief- du musst folgen".
Malawi braucht diese starken Frauen. Malawi, ein Land mit einer der höchsten Raten der Mütter- und Säuglingssterblichkeit, braucht aber auch endlich einen überall verfügbaren Zugang zu Verhütungsmitteln, Betreuung der Schwangerschaften und Nachsorge. Doch die Tradition und auch die katholische Kirche verschließen die Augen vor dieser Situation. Dass Männer glauben, durch die Vergewaltigung einer menstruierenden Frau könnten sie von AIDS geheilt werden, erscheint uns lächerlich. Die Frauen in Malawi lachen nicht darüber – für sie ist sexuelle Gewalt ein Teil ihres Lebens.
Als Mitglied der AKP-Delegation (Afrika, Karibik, Pazifik) interessieren mich die großen Zusammenhänge ebenso, wie das normale Leben der Menschen. Im Europäischen Parlament werden wir in den nächsten Wochen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, sogenannte EPAs, mit den afrikanischen Ländern abstimmen. Wir müssen uns unserer Verantwortung bewusst sein: Nur wenn wir Afrika in Zukunft Schritt für Schritt bei dem Weg in eine bessere Zukunft begleiten, wird eine friedliche Welt auf Dauer denkbar. Wer daher in Deutschland einfordert, Fluchtursachen zu bekämpfen, muss an erster Stelle die Verhältnisse in Afrika genau kennen.
Ich habe zahlreiche Eindrücke gewonnen und bedanke mich bei CARE für diese Informationsfahrt – von "Afrika wirklich verstehen" bin ich aber noch weit entfernt.